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Glück im Unglück: Eichhörnchen "Olivio"

Münchens wohl berühmtestes Eichhörnchen „Olivio“ hielt mich im Dezember 2016 ganz schön auf Trab. Der kleine Racker wurde über Nacht zum weltweiten Medienstar und schaffte es auf einige Titelblätter großer und kleiner Tageszeitungen, ins Fernsehen und sogar bis zur BBC, nachdem er in einem Kanaldeckel feststeckte und lediglich mit viel Geduld, Fingerspitzengefühl und Olivenöl (ergo sein Name) befreit werden konnte.

Foto: © aktion tier Tierrettung München e.V.

Seine angeblich zu dicken Hüften riefen in der vorweihnachtlichen Genussstimmung große Sympathie auf verschiedensten Medienplattformen hervor, und ich wurde sogar mehrfach auf der Straße auf den unglücklichen Zwerg angesprochen.

Der Anruf

Freitag (02.12.16), um ca. 16 Uhr: Eine aufgeregte Tierschützerin aus Giesing wählte die Notfall-Hotline der Tierrettung München und berichtete, dass sie ein Eichhörnchen im Kanaldeckel fand, welches weder vor noch zurück könne. Ich befand mich zu diesem Zeitpunkt in einem anderen Einsatz beim LKA (wegen eines Grünspechts mit Anflugtrauma), riet aber telefonisch zunächst zur Ersten-Hilfe-Maßnahme „Pflanzenöl“, um ein eigenständiges Herausklettern zu ermöglichen. Leider reichte das nicht aus, und somit machte ich mich umgehend mit dem roten Tierrettungs-Fahrzeug auf den Weg zum eingeklemmten Tier.

Mit dicken Handschuhen und viel Öl versuchte ichdas arme Tier aus seiner misslichen Lage zu befreien. Foto: © aktion tier Tierrettung München e.V.

Die missliche Lage

Bei der Ankunft war das junge Eichhörnchen bereits unterkühlt, sichtbar kraftlos, und seine Vorderkrallen waren durch die verzweifelten Befreiungsversuche stark abgewetzt. Mit dicken Handschuhen und viel Öl versuchte ich das arme Tier aus seiner misslichen Lage zu befreien. Es schien aussichtslos, und bald wurde klar, der Zwerg konnte einfach nicht nach oben heraus, da sich seine Hüften beim Versuch ihn nach oben aus dem viel zu kleinen Loch zu ziehen, weit aufspreizten. Das Köpfchen musste nach unten durch. Somit bewegte ich zusammen mit der Anruferin den schweren, gusseisernen Kanaldeckel um ca. 10 cm, damit ich das Hörnchen von unten greifen und durchziehen konnte. Jedoch ging es auch in diese Richtung nicht voran. Die Lage erschien hoffnungslos, aber nach vielen weiteren Anläufen konnten die kleinen Ärmchen und Schultern schließlich nacheinander mit viel Geduld durch das Loch geschoben werden. Endlich, nach einer guten Stunde, flutschte schließlich auch das kleine Köpfchen nach unten durch.

Endlich befreit!

Mit großer Erleichterung wickelte ich das völlig erschöpfte Hörnchen in ein kuscheliges und warmes Handtuch, versorgte es oral mit Glucose und fuhr direkt zu Frau Gallenberger, einer Eichhörnchen Spezialistin mit eigener Auffangstation in Trudering (Eichhörnchen Schutz e.V.). Während des Transportes befand sich das Tier im Todesk(r)ampf: Es war eiskalt und krampfte unentwegt, ich fürchtete, dass es noch vor meiner Ankunft verstirbt.

Olivios Genesung

Glücklicherweise hat sich „Olivio“, wie er aufgrund des großzügigen Einsatzes von Olivenöl getauft wurde, dank liebevoller Pflege ausgiebig erholen können und ist mittlerweile wieder komplett genesen. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum es dem jungen Eichhörnchen- Männchen wieder prächtig geht.

Olivio hat sich in „Eika“ verliebt. Das Eichhörnchen-Weibchen teilt ein schweres Schicksal mit ihm, denn sie erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und kam ebenso in die Auffangsstation. Die beiden verarbeiten ihre Vergangenheit nun beim gemeinsamen Herumtollen im Überwinterungsquartier. Im Frühjahr sollen die beiden schließlich zusammen in die Freiheit entlassen werden.

Wie das Tier letztendlich in solch eine missliche Lage gekommen war, aus welcher es sich selbst nicht mehr befreien konnte, ist unklar. Jedoch kommt dies laut der Feuerwehr München häufiger vor, und deshalb werden diese Tiere auch nicht mehr im städtischen Gebiet ausgewildert, sondern in einem nahen Waldstück ohne die Gefahr „Gullydeckel“, aber mit viel Wildnis zum Austoben.

Landflüchter

Der Grund, warum man generell immer häufiger Wildtiere in der Stadt zu sehen bekommt, ist folgender: Die zunehmende Monokultivierung und der hohe Pestizideinsatz unserer Landschaften macht immer mehr Wildtiere zu regelrechten Landflüchtern, und daher ist das urbane Vorkommen einiger Tierarten mittlerweile um ein Vielfaches höher als in den ursprünglichen, ländlichen Lebensräumen. Diese Tiere (Wildkaninchen, Füchse, Eichhörnchen etc.) haben zwar erfolgreich passende Nischen für sich beansprucht, aber dennoch warten viele Gefahren in der urbanen Umgebung auf sie, wie z.B. Verkehr, Glasscheiben und eben auch Kanaldeckel. 

Wildtiere in Not: Rettung in letzter Sekunde

Podcast des Deutschlandfunk Nova zum Fall "Olivio" und zu Wildtieren in der Stadt.

Erste Hilfe

Falls jemand mal ein Tier im Kanaldeckel oder in einer anderen Falle finden sollte, ist zu empfehlen als Erste- Hilfe-Maßnahme vorsichtig eine Decke über den Kopf des Tieres zu legen, damit es sich beruhigen kann und weniger verkrampft (Abschnüren der Blutzufuhr). Dann sollte schnellstmöglich die Tierrettung oder die Feuerwehr gerufen werden, welche dann mit geeignetem Equipment weitere Schritte einleiten kann. Es muss darauf geachtet werden, dass sich der Finder mit Handschuhen vor eventuellen Bissen schützt, da sich das Tier in einer extremen Stresssituation befindet und gegebenenfalls sehr aggressiv reagieren kann. Letztendlich weisen wir ausdrücklich darauf hin, dass solche Tiere aufgrund des Schockzustandes – auch wenn sie eigenständig befreit werden können – auf keinen Fall sofort wieder freigelassen werden dürfen, sondern professionelle Hilfe in Form einer Auffangstation benötigen, um sich dort in Ruhe zu erholen, untersucht und beobachtet werden zu können. Bitte informieren Sie sich im Notfall über unsere Hotline – wir helfen Ihnen gerne weiter.

Happyend

Diese wunderbare Geschichte mit Happyend rührte viele Tierliebhaber so sehr, dass mich nach der Rettungsaktion weitere Anfragen von Presse und Fernsehen erreichten. Gemeinsam mit einem Kamerateam machte ich mich auf den Weg zu Olivio, um ihn zu besuchen. Zunächst scheu, aber dann doch recht neugierig, bekamen wir ihn dann in seinem vorübergehenden Zuhause zusehen. Er schien wie ausgewechselt im Vergleich zum letzten Mal, als er noch total erschöpft und unterkühlt im Kanaldeckel feststeckte und wir um sein Überleben bangten. Dieser Fall zeigt uns wieder einmal wie wertvoll unsere Arbeit mit den Wildtieren doch ist, da so ein kleines Kerlchen ohne die aufmerksame Passantin und seine Befreiung nicht überlebt hätte. Ich wünsche mir jedenfalls nur das Beste für Olivio und hoffe sehr, er wird meine Hilfe in Zukunft nicht mehr benötigen.

Tierrettung München