Hauspferde

Natural Horsemanship

Ein Interview von Ann Kari Sieme, aktion tier-Geschäftsstelle Berlin. Die Bilder von komplett zusammengeschnürten Pferdemäulern, blutigen Maulwinkeln und tödlichen Stürzen im Reitsport werden immer bekannter und ziehen vor allem im Internet immer größere Kreise. Große Tierschutzvereine fordern inzwischen den Reitsport als solchen gänzlich zu verbieten. Doch gibt es nur diesen, uns von großen Turnieren bekannten Umgang mit dem Pferd? Muss Reiten generell ein Kraftakt sein, oder gibt es auch andere Wege dem Pferd zu begegnen? Dieser Frage wollten wir auf den Grund gehen und sind auf den Begriff „Natural Horsemanship“ gestoßen. Doch was ist das, und was muss man dafür können? Diese und weitere Fragen haben wir dem Pferd- Mensch-Coach und Inhaber von „Horse-Human-Harmonie“ Raimund Kniffki aus Berlin gestellt, der in den letzten Jahren bereits vielen sogenannten Problempferden helfen und dem Menschen einen natürlichen Umgang mit ihren Tieren näher bringen konnte.

Pferd-Mensch-Coach Raimund Kniffki und aktion tier-Mitarbeiterin Ann Kari Sieme. Foto: © Ines Becker

Was verstehen Sie unter dem Begriff „Natural Horsemanship“?

Natural heißt ja erstmal „natürlich“. Es bezieht sich also auf einen natürlichen Umgang mit dem Pferd. „Horse-man-ship“ meint die Beziehung zwischen Mensch und Pferd. Beides zusammen meint also einen natürlichen Umgang zwischen Mensch und Pferd. Was sich so einfach anhört, beinhaltet jedoch einiges mehr als oberflächlich zu vermuten ist. Natural Horsemanhip ist kein Produkt eines Herstellers, kein festes System, kein Reitstil, nichts, was man in eine Form gießen könnte. Es beinhaltet das Erlernen der Sprache des Pferdes, das Eingehen auf und Einfühlen in das Pferd in seiner natürlichen Art und Sichtweise der Dinge. Ein respektvoller Umgang mit einem „pferdischen“ Freund. Zuhören, wenn der Freund etwas mitzuteilen hat. Es gibt so viele Ausführungen davon, wie es Pferd-Mensch Paare gibt, denn jede einzelne Verbindung zwischen Pferd und Mensch ist einzigartig.

Natural Horsemanship hat nichts mit Dominanz zu tun. Dominanz heißt die Kontrolle über den anderen auszuüben und ihn zu beherrschen. Wenn ich mein Pferd beherrschen und kontrollieren möchte, bekomme ich einen Sklaven und keinen Freund! Auch der Gedanke, dass Menschen die Funktion eines Leittieres in der Zweierbeziehung einnehmen müssen, ist mittlerweile wissenschaftlich widerlegt. Auch in der Herde wechseln die Aufgaben zwischen den einzelnen Pferden. Und irgendwie frage ich mich, wie ich das mit zwei Beinen und ca. 600 kg Untergewicht schaffen soll?

Natural Horsemanship zeigt Dir, wie Du mit einem Pferd umgehst, wie Du auch mit Menschen umgehst und letztlich wie Du mit Dir selbst umgehst! Du erkennst vielleicht irgendwann auf Deinem Weg mit Pferden, dass Du Dich verändern musst, wenn Du Dein Pferd ändern möchtest. Dich dieser Veränderung zu öffnen wird Deine Beziehung zum Pferd ändern, Dein Pferd wird sich verändern und damit ändert sich Deine Beziehung zu Deiner gesamten Umwelt. Es ist eine Lebensart, die Dich im Zusammenleben mit Deinem Pferd weiterbringt und sich auf Dein ganzes Leben auswirken kann, wenn Du bereit bist für die Veränderung in Dir. Lässt Du Dich auf diese Lebensweise ein, begibst Du Dich auf Deine eigene Reise mit Deinem Pferd und zu Dir selbst!

Wenn ich mich nun dafür entschieden habe, sei es nun aus einer Erkenntnis oder auch aus der Not heraus, weil ein Problem vorliegt, mich neuen Wegen mit meinem Pferd zu öffnen, wie beginne ich damit? Wie steige ich ein in das Natural Horsemanship?

Buck Brannaman sagt in seinem Film: „Ich helfe keinen Menschen mit Pferdeproblemen, sondern ich helfe Pferden mit Menschenproblemen!“. Damit sagt er nur eins: Die Ursache für nahezu alle Probleme, die der Mensch mit dem Pferd hat, ist der Mensch. Gerade in den letzten Jahren wird immer mehr darüber gesprochen, dass Pferde ihre Besitzer spiegeln. Wenn ich also nur die Möglichkeit in Betracht ziehe, dass ich als Mensch ursächlich dafür sein könnte, dass mein Pferd sich nicht wie gewünscht verhält und dieses unerwünschte Verhalten mich spiegelt, so kann ich nur zu einem Ergebnis kommen: Wenn ich mich verändere, wird sich mein Pferd auch verändern.

Der erste Schritt ist: Zu erkennen, dass ich selbst der Verursacher aller Probleme mit meinem Pferd bin! Ich schließe jetzt mal echte Verhaltensstörungen auf Grund von nicht pferdegerechten Haltungsbedingungen, nicht passendem Equipment, sowie körperliche Gebrechen und Krankheiten aus. Schritt zwei ist die Wahrnehmung meines Körpers und meiner Emotionen zu steigern. Wir alle haben erlebt, dass wir in der Kindheit durch Erziehung, Schule und Freunde das Vertrauen in unser „Bauchgefühl“, in unsere Intuition verloren haben. Hinzu kommt, dass eine Reihe von Gefühlen heutzutage als unerwünscht bewertet wird. Wut, Ärger, Hass dürfen nicht gezeigt werden, genauso wie Traurigkeit oder sonstige Aggressionen. In der Folge fängt der Mensch an seine Gefühle zu verstecken und den Deckel drauf zu packen. Jahre später begegnet dieser Mensch dann einem Pferd und wundert sich, warum sich das Pferd nicht kontrollieren lässt und manchmal auch aggressiv wird. Das liegt daran, dass Pferde sogenannte Emotionsleser sind. Es liegt in der Natur des Pferdes als Fluchttier Raubtiere „lesen“ zu können. Es ist lebens- und überlebensnotwendig für das Pferd, den „Status“ des sich annähernden Raubtieres Mensch zu erkennen. Es muss ja schließlich wissen, ob das Raubtier auf Jagd ist oder lediglich einen Schlafplatz sucht. Pferde erkennen jede Muskelveränderung unserer Gesichtsmuskeln oder den Finger an der Hand aus großer Entfernung. Sie empfinden unsere tiefliegenden unterdrückten Emotionen. Sie fühlen, was für uns nicht mehr zugänglich ist, und das ist oft ein sehr individuelles Paket an Emotionen. Der Weg wieder zu lernen, diese Emotionen wahrzunehmen und voneinander unterscheiden zu können, macht den meisten Menschen viel Angst, weil sie nicht wissen, was auf sie zu kommt. Aber diese Emotionen liegen in unserem Körpergedächtnis und wollen einfach wahrgenommen werden. Ist der Inhalt dieses Emotions- Rucksackes erkannt und sind diese Gefühle (ich trenne hier nicht zwischen Gefühlen und Emotionen) einmal wahr genommen, sind sie aus dem Körpergedächtnis raus. Es kann eine körperliche, geistige und auch seelische Entspannung eintreten, die sich auf unsere Wahrnehmung auswirkt. Entspannung heißt auch, dass unsere Gedanken entspannter sind und wir endlich die Chance haben, vertrauensvoll ans Pferd zu treten. Damit verändere ich mich von einem inkongruenten Menschen zu einem präsenten, gegenwärtigen, authentischen Menschen, der genau weiß, was er fühlt und damit auch weiß wie er reagieren muss. Er ist nicht mehr von seiner Intuition abgeschnitten, und letztlich kehrt auch das Ur- Vertrauen in das Pferd, sich selbst und das gesamte Leben zurück. Der Mensch, der diesen Weg geht, wird irgendwann inneren Frieden und Präsenz empfinden. Aber jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt und das ist die Erkenntnis, dass das Pferd der äußere Spiegel meines Inneren ist!

Die Wahrnehmung des Körpers ist für die rein technische Kommunikation mit dem Pferd äußerst wichtig. Das Pferd reagiert auf aller kleinste Gewichtsverlagerungen und Anspannungen, beispielsweise in den Armen. Ich sollte also parallel zu der emotionalen Selbst- Wahrnehmung damit beginnen, zu üben, meinen Körper wahrzunehmen. Immer wieder von Kopf bis Fuß checken. Wo ist das Gewicht? Wo sind die Füße? Wie steht der Kopf auf den Schultern? Sind meine Arme angespannt? Und so weiter! Klare und eindeutige Signale mit dem Körper und diverser Zeigeinstrumente sind einfach entscheidend für die in meinem Sinne erfolgreiche Kommunikation mit dem Pferd! Letztlich kann ich gerade bei der Kommunikation mit dem Pferd im Round Pen nichts falsch machen, denn das Pferd versteht ja aus seiner Sicht alles richtig! Ich bekomme nur nicht das Ergebnis, was ich wollte. Der dritte Schritt und ein wichtiger Aspekt ist die Achtsamkeit. Ich sehe viele Menschen, die auf ihrem Pferd sitzen und ein Handy in der Hand halten. Das ist ein gutes Beispiel dafür was ich meine. Wir gehen zu unserem Pferd und erwarten, dass es uns in der Zeit wo wir bei ihm sind 100% seiner Aufmerksamkeit schenkt. Ich finde, das Pferd hat genauso 100% unserer Aufmerksamkeit verdient. Wenn ich mit meinen Gedanken nicht beim Pferd bin und die mentale Verbindung nicht da ist oder abreißt, kann ich nicht erwarten, dass das Pferd bei mir ist. Wenn ich von meinem Pferd erwarte, dass es mir respektvoll gegenübertreten soll, sollte ich dasselbe für das Pferd tun. Wenn mir mein Pferd also deutlich zeigt, dass es von mir weggeht oder mich ignoriert, sollte ich auch hier mich selbst hinterfragen, ob ich wirklich mit meinen Gedanken, meinem Fokus Hier und Jetzt anwesend und beim Pferd war. Der vierte Schritt ist dann mich in mein Pferd hinein zu fühlen. In einer Partnerschaft sollte es auch immer eine Rolle spielen, wie es dem Partner geht. Wichtig ist also die Frage: Wie geht es meinem Pferd heute? Ist es in der Lage, das zu tun, was ich mir für heute vorgenommen hatte, oder sollte ich meine Pläne umstellen? Auch wir Menschen sind nicht immer in der Lage, alle Dinge die wir machen wollen, auch zu tun. Kopfschmerzen, Stress oder sonstige innere und äußere Einflüsse sorgen manchmal dafür, dass wir mal etwas nicht tun möchten. Dem Pferd steht das gleiche Recht zu.

Sowohl in Reitgeschäften als auch im Internet trifft man auf ein vielfältiges und buntes Angebot an Equipment rund ums Pferd. Angefangen bei Halftern in den verschiedensten Ausführungen, über Sättel, Trensen, Gebisse, Ausbinder, bis hin zu Sporen, Peitschen und Gerten. Gibt es eine bestimmte Ausrüstung, die ich für den Einstieg und für das Arbeiten nach Natural Horsemanship benötige? Oder allgemeiner gefragt: Benötige ich generell all dieses Equipment, um mit meinem Pferd umgehen zu können?

Nein. Grundsätzlich reicht sehr oft das Equipment aus, was vorhanden ist, um zu starten. Es gibt sicherlich verschiedene Systeme, die ein bestimmtes Zubehör anbieten oder voraussetzen, das halte ich persönlich aber nicht immer für erforderlich. Für eine vernünftige Kommunikation reicht bei den meisten Pferden ein Stallhalfter, Gerte und eine Longe. Hier ist sicherlich keine präzise Kommunikation mit dem Pferd möglich, aber oft reicht es aus, um sowohl Mensch als auch Pferd an die neue Form zu gewöhnen. Ein Stallhalfter überträgt die Impulse nicht so stark wie ein Knotenhalfter und ist daher besser geeignet. Man darf nicht vergessen, dass ein schmales Knotenhalfter einen Durchmesser von 5 mm hat, ein Stallhalfter ist mindestens 2 cm breit. Da die Auflagefläche beim Knotenhalfter nur ein Viertel so groß ist, werden die Impulse am Kopf des Pferdes deutlich stärker ankommen. Darüber sollte der Nutzer sich klar sein! Ein Knotenhalfter kann sehr fein, sehr sanft genutzt werden. In einer groben Hand kann es auch das Gegenteil bewirken und das Pferd schnell sauer und stumpf machen.

Was noch erforderlich ist, ist eine etwas längere Gerte oder ein sogenannter Carrot- oder Horsemanstick oder auch ein Bodenarbeitsseil. Auch da ist nicht die Frage, was ist besser, sondern womit komme ich am besten klar. Wenn ich mit dem Seil präzise arbeiten kann, ist nichts dagegen einzuwenden. Sofern ich aber ein schlechter „Seilschwinger“ bin und die Schultern erst beim 5. Mal treffe, wäre zu überlegen, ob ich doch lieber eine Gerte nutzen sollte. Im Allgemeinen gilt, dass fast jedes Zubehör einen Sinn hat. Die einzige Ausnahme sind einige Arten von Hilfszügeln. Ich bin kein Freund von Hilfszügeln, denn es geht eigentlich alles auch ohne das Pferd zum Paket zu verschnüren. Aber ich sehe auch die Ausnahme, wenn zum Beispiel ein unsicherer Reitschüler auf dem Pferd sitzt und hier Ausbinder aus Sicherheitsgründen genutzt werden. Zu weiteren Abarten der Verschnürungen kann ich nur sagen, dass diese Spezial-Hilfszügel, wie Gogh, Chambon oder Laufer-, Wieneroder Schlaufzügel in die Hände von wirklich guten Reitern gehören, die sie aber nicht mehr brauchen. Leider ist der Weg ohne diese Instrumente ein etwas längerer, aber ein deutlich pferdegerechter!

Sättel sollten zum Pferd und Reiter passen. Eins davon reicht nicht. Ich bin mir bewusst, dass es ein sensibles Thema ist. Aber ich sehe ab und zu mal Menschen, die anscheinend nicht wissen, welche Größe ihr „Hinterteil“ hat. Im Sattel sitzen heißt aber sich trotzdem im Sattel bewegen zu können und nicht in die Sitzform und die Pauschen hineinzugleiten und „festgetackert“ oder angesaugt zu werden. Wenn im Sattel die Hüfte nicht mehr in der Lage ist, sich mitzudrehen, ist das Pferd nicht in der Lage, den Reiter zu verstehen, und ich bin gezwungen über Zügel zu lenken. Kann ich die Unterschenkel nicht mehr bewegen, weil sie zwischen den Pauschen keine Bewegungsfreiheit mehr haben, kann ich keine Signale mehr durch Schenkel-Verlagerung nach vorn oder hinten geben. Die Kommunikation mit dem Pferd aus dem Sattel wird deutlich eingeschränkt.

Ein Wort zu Gebissen: Klappt die Kommunikation nicht, ist kein Vertrauen vorhanden, versteht das Pferd unter Umständen die Signale nicht, welche die Hand des Reiters an das Pferdemaul schickt. Die allgemein übliche Interpretation, dass das Pferd „nicht will“ halte ich für gefährlich. Statt an der richtigen Kommunikation zu feilen, wird dann schnell mal ein schärferes Gebiss eingeschnallt. Leider ist der Effekt nur der, dass sich das Pferd in seine Lage ergibt und zukünftig funktioniert. Wenige Pferde werden aufmüpfig und wehren sich, welche dann als „nicht handhabbar“ und/oder gefährlich eingestuft und abgegeben werden.

Eine schreckliche Tendenz, die es gilt durch Aufklärung zu unterbrechen!

Das klingt so, als ob eigentlich jeder Reiter das wenige Equipment, was er für den Einstieg in das Natural Horsemanship braucht, wahrscheinlich bereits hat. Nun liest man im Zusammenhang mit dem Natural Horsemanship immer wieder etwas von RoundPen-Arbeit? Was ist ein RoundPen, was sollte ich mit meinem Pferd darin machen und warum?

Der sogenannte „RoundPen“ hat sich aus der Cowboy-Arbeit mit Pferden entwickelt. Er ist rund geworden, weil damit dem Pferd die Möglichkeit genommen wurde sich in eine Ecke zu flüchten. Wer keinen RoundPen hat, kann aber genauso auch in einem Viereck „arbeiten“. In einem RoundPen habe ich viele Möglichkeiten mit dem Pferd etwas zu tun. Ich kann schlicht Bewegungstherapie machen und lasse mein Pferd außen herum laufen, damit es etwas Bewegung bekommt. Ich kann mein Pferd aber auch à la Monty Roberts in Todesangst versetzen, 400m Fluchtdistanz laufen lassen und warten, das es sich resignierend dem Menschen in der Mitte des RoundPen anschließt. Die für mich „richtige“ Art und Weise mit seinem Pferd im RoundPen zu spielen (ich finde den Begriff der Arbeit nicht passend) liegt wie immer in der Mitte.

Es geht im RoundPen meines Erachtens nach nicht darum, ein Pferd sinnlos im Kreis laufen zu lassen, sondern um Vertrauen und Kommunikation. Es geht um Anfragen, die ich dem Pferd stelle und Antworten und Anfragen, die ich vom Pferd bekomme. Ich kann nach einer kleinen Aufwärmphase Übergänge, Tempowechsel, Gangartwechsel und Handwechsel nach Innen und Außen üben. Ich kann die Energie meines Pferdes hoch-, aber schnell auch wieder runterfahren. Die neueste Entdeckung eines bekannten Pferdetrainers ist der „Equi-place“, der nichts anderes ist als ein Platz der Ruhe für das Pferd. Ich möchte nochmals betonen: Es geht nicht darum, das Pferd runden- und stundenlang zu scheuchen. Es geht um ein sich-kennenlernen, sich gegenseitig „lesen“ zu lernen, Verständnis und Öffnung für die Bedürfnisse des Anderen. Für ein gutes Verhältnis zwischen Bewegung und Pause sollte immer gesorgt werden. Jedes Pferd ist anders und hat andere Bedürfnisse.

Manche Pferde möchten viel im Kreis laufen, andere lieber in der Mitte stehen. Warum darf ich nicht der Anfrage eines Pferdes, was mich nach fünf Runden ansieht, kaut und zu mir kommen möchte, stattgeben und es mit einer kurzen Pause bei mir belohnen? Ich kann die Anfrage auch ablehnen, da mir das Pferd zu sehr klebt und ich es an eine gewisse Distanz gewöhnen möchte. Es gibt viele Faktoren, die es zu berücksichtigen gilt. Aber ich kann auch ein paar Beziehungsprobleme elegant lösen, vielleicht auch entstandene Kommunikationsprobleme beseitigen. Fehler entstehen hier durch eine falsche körperliche Ausrichtung des Menschen. Im RoundPen wird „Raumarbeit“ gemacht, denn Pferde denken in Räumen, Laufrichtungen und Fokussierungen. Wenn ich das Pferd von hinten mit der Peitsche treibe und mein Bauchnabel weit vor dem Pferd die Laufrichtung des Pferdes kreuzt, habe ich dem Pferd eine Aufgabe gestellt, die es nicht lösen kann ohne sich gegen mich zu entscheiden. Körperausrichtung, Fokus und Hilfegebung müssen klar übereinstimmen, damit das Pferd nicht verwirrt wird. Sicher funktioniert das bei vielen Menschen ohne Probleme. Das sind Pferd-Mensch- Systeme, die sich seit zig Jahren auf einer bestimmten Ebene eingespielt haben. Besser wird es davon nicht. Leider beschäftigen sich viele Menschen nicht damit, wie Pferde denken, bevor sie mit ihrem Pferd in den RoundPen gehen. Es sieht einfach aus – ist es aber nicht.

Das Pferd möchte Sicherheit und Führung und lernt mit dem Menschen im RoundPen zu kommunizieren. Das Ganze mit dem Ziel möglichst wenig Energie ins Pferd zu bringen und trotzdem die gewünschte Reaktion zu erzielen, sowie die Reaktionen meines Pferdes kennenzulernen und mich seinen Ideen und Angeboten zu öffnen. Nur, wenn ich die Anfragen meines Pferdes wahrnehme, habe ich eine Wahl sie anzunehmen oder nicht. Wie in jeder Partnerschaft gibt es gute und schlechte Tage. Davon sollte man sich nicht entmutigen lassen. Wenn die Kanäle beidseitig geöffnet sind, kann der Mensch viel von seinem Pferd lernen und bekommt eine tiefe Freundschaft geschenkt.

Nun ist die bekannte Reiterwelt ja eine andere. Leute, die sich ansonsten wenig mit Pferden beschäftigen, kennen Reiten wahrscheinlich vom Jahrmarkt oder aus dem Fernsehen, wenn mal große Turniere oder auch die Olympischen Spiele übertragen werden. Hat diese Reiterwelt auch etwas mit dem Natural Horsemanship zu tun? Ist davon auszugehen, dass auch Olympia-Reiter mit ihren Pferden im RoundPen spielen und sich kennenlernen? Immerhin haben sie ja Großes miteinander vor! Oder was vermuten Sie eher hinter den Kulissen der großen Turnier- Ställe?

Es gibt eine sehr schöne Entwicklung bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), die vor ein paar Jahren erstmalig die Bodenarbeit in ihr Programm mit aufgenommen und ein extra Bodenarbeits-Abzeichen entwickelt hat. Ich denke, dass diese Notwendigkeit sich daraus ergeben hat, dass immer mehr Menschen mehr möchten, als nur auf ihrem Pferd zu reiten. Das Pferd bekommt als Freizeitpartner immer mehr Bedeutung. Die Menschen möchten ihre Tiere nicht mehr zu mechanisch funktionierenden Wesen machen, sondern lebendige Partner an ihrer Seite, die auch mal ihre Meinung äußern dürfen.

In den von Ihnen angesprochenen Leistungsklassen muss ich klar feststellen, dass es leider nicht mehr um die Pferde geht, sondern schlicht um Geld. Pferde, die Millionen gekostet haben, dürfen nicht einmal auf die Weide, und ehrlicherweise muss ich mich manchmal wundern, dass die Veterinärämter dem kein Einhalt gebieten. Dass die reine Boxenhaltung bei Pferden nicht artgerecht ist, dürfte klar sein. Aber so ein wertvolles Tier darf sich nicht verletzen und muss Erfolge bringen.

Sie fragen, ob ein Olympia-Reiter mit „seinem“ Pferd im RoundPen spielt? Ich glaube Nein! Wenn überhaupt eines dieser Pferde jemals einen RoundPen oder eine andere geeignete Spielfläche freilaufend gesehen hat, dann ganz sicher mit dem Pfleger zusammen, der sich um das Pferd kümmert und sehr oft eine deutlich bessere Beziehung zu dem Pferd hat als der Reiter! Die Reiter beschränken sich oft darauf, die Ergebnisse der Be-Reiter nachzureiten und vielleicht noch etwas daran zu feilen. Aber ein Interesse mit einem Pferd am Boden irgendetwas zu machen sehe ich nicht! Es ist in den Köpfen der meisten hochdotierten Reiter noch nicht angekommen, dass es viele positive Effekte hat, dem Pferd mal etwas anderes zu bieten. Vielleicht besteht auch ein wenig Angst vor dem unbekannten neuen Gebiet oder auch davor, dass das Pferd anfängt seine Meinung zu sagen. Was meinen Sie, was passiert wäre, wenn ein Totilas im Dressur Viereck seine Meinung gesagt hätte? Selbst bei Menschen, die auf kleinen ländlichen Turnieren starten, ist es immer noch so, dass die Bodenarbeit belächelt wird. Obwohl sie ein Teil des FN-Programms geworden ist, wird sie nach meiner Erfahrung schlecht angenommen. Es ist ein Wunschdenken der FNFührung, dass hier ein schnelles Umdenken erfolgt, und so wird es mindestens zwei Reitergenerationen – ich schätze zehn Jahre – dauern, bis auch Turnierreiter der höheren Klassen wissen was das ist. Auch in einem völlig normalen Stall werden ganz oft die Besitzer, die mit ihrem Pferd spazierengehen, Ball spielen oder im RoundPen kommunizieren mit einem abfälligen Lächeln belegt. Löblich muss ich erwähnen, dass es mittlerweile einzelne Reiter gibt, die selbst auf Europa-, bzw. Weltniveau reiten, welche ihrem Pferd sozialen Umgang auf der Weide ermöglichen und sie nicht mehr einsperren. Vielleicht ist es an der Zeit, dass vereinzelt auch die Möglichkeit der Kommunikation und das Kennenlernen des Pferdes im RoundPen in die Köpfe der Menschen dringt, die bisher das Pferd gestriegelt und gesattelt in die Boxengasse gestellt bekommen haben.

Abschließend die Frage: Wenn Sie sich etwas wünschen dürften in Bezug auf Pferde und ihre Menschen, gäbe es da etwas und wenn ja: was? Was würden Sie all den Pferdehaltern da draußen gerne sagen?

Oh, da gibt es schon so ein paar grundlegende Dinge. Als Erstes möchte ich mich an alle Reiter wenden, die ihr Pferd noch nie am Boden beobachtet haben. Geht mal in den RoundPen und beobachtet euer Pferd. Fühlt doch einfach mal, was für ein tolles Gefühl es ist, wenn das Pferd auf Anfrage freiwillig zu Dir kommt, neben Dir anhält und den Kopf senkt! Als Zweites möchte ich alle System-Anhänger auffordern, die anderen Systeme nicht abfällig zu betrachten. Viele Wege führen nach Rom, und letztlich haben alle mir bekannten Systeme das Wohl des Pferdes im Sinn! Der Konkurrenzkampf zwischen Parellis, FNlern, Légèretisten, Klassikern usw. sollte in einen konstruktiven Dialog gewandelt werden. Das wird aber wohl erst passieren, wenn die führenden Köpfe das Wohl der Pferde und nicht der eigenen Geldbörse im Sinn haben!

Ich wünsche mir die Gründung eines Natural Horsemanship Verbandes (NHS) mit der Idee, die Vielseitigkeit des NHS zu stärken, Verbände unter einem Dach zu vereinen, NHS als Lebensphilosophie weiter zu verbreiten und den Dialog zwischen den Reitweisen, Anhängern unterschiedlichster Richtungen zu fördern und sie an einen Tisch zu bringen! Und als Drittes und abschließenden Wunsch möchte ich allen Pferdebesitzern sagen: Übernehmt die Verantwortung, euer Pferd gesund zu reiten! Öffnet euch für andere Ideen und holt euch Hilfe, wenn es mal Schwierigkeiten gibt. Daran ist nichts Verwerfliches oder Schlechtes! Wolfgang Marli sagt: „Es gibt keine schwierigen Pferde – es gibt nur Pferde in Schwierigkeiten!“. Und es gibt Menschen, die sich darauf spezialisiert haben, diesen Pferden mit ihren Menschen zu helfen!

Vielen Dank für dieses sehr informative Gespräch!

Ann Kari Sieme

aktion tier-Geschäftsstelle Berlin