Nicht nur die Herden werden immer größer, auch die Tiere werden in kürzerer Mastzeit immer schwerer. Wog eine männliche Mastpute vor der Schlachtung in den 1980er Jahren noch etwa 13 kg, bringt die Putenmast dank spezieller Hybridrassen heute Tiere hervor, die fast das Doppelte wiegen. Die Probleme in der Putenmast ähneln denen in den anderen Betrieben der industriellen Massentierhaltung und -produktion: eine hohe Sterblichkeit durch die nicht artgerechten Bedingungen, Krankheiten, hervorgerufen durch die Zuchtlinien und Haltungsbedingungen, erhöhter Antibiotikaeinsatz, kurz: Tierquälerei. Es ist unfassbar, doch gibt es bis auf die allgemeinen Bestimmungen des Tierschutzgesetzes keine rechtsverbindlichen Vorgaben, Qualzucht und -haltung sind legal. Regelmäßig werden daher Proteste laut, wenn Tierschützer die skandalösen Herkunftsbedingungen des geschätzten Putenfleisches veröffentlichen. Für große Empörung sorgten Aufnahmen, die Mitarbeiter eines Putenmästers beim Ausstallen der Tiere zeigten: Tiere wurden mit Fußtritten malträtiert, durch die Luft geworfen, getreten und geschlagen. Ganz offensichtlich wurde ein Verletzen der Puten billigend in Kauf genommen, sodass der Verdacht naheliegt, es handele sich bei diesem eindeutig dokumentierten Geschehen nicht um eine Ausnahmesituation.
Tierquälerei in der Putenmast
Die Freiwillige Selbstverpflichtung scheint wirkungslos: Wie in den meisten Zweigen der modernen Agrarindustrie setzt sich der Trend zu immer größeren Tierbeständen je Betrieb auch in der Putenmast ungehindert fort. Weit mehr als drei Viertel der jährlich etwa 30 Millionen Tiere werden auf Betrieben mit mehr als 10.000 Puten gemästet. Von gesetzlichen Regelungen wird die Freiheit der Mäster bei der Schaffung „artgerechter“ Haltungsbedingungen ebenso wenig eingedämmt wie die Züchtung der Tiere selbst, die mit ihren natürlichen Verwandten fast nichts mehr gemein haben.
Wahrnehmung des Verbrauchers
Oft wird das Fleisch von Tieren aus Mastanlagen wie der beschriebenen mit dem Aufdruck „aus Bodenhaltung“ verkauft. Damit versucht man, den Verbrauchern zu suggerieren, dass die Puten artgerecht gehalten werden.
Die Geflügelindustrie versucht in der Regel, Missstände schönzureden und solche Vorfälle als bedauerliche Einzelfälle darzustellen, die Konzerne schieben die Schuld gerne den einzelnen Mästern zu. Doch offenbar haben jüngste Enthüllungen im Falle Heidemark, einem Marktführer im Geschäft mit Puten, doch Auswirkungen auf die interne Organisation gehabt. Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft stellt der Verband Deutscher Putenzüchter (VDP) nun eine „freiwillige Selbstverpflichtung mit Eckdaten zur Putenzucht“ vor. Von einem „Durchbruch für mehr Tierwohl“ schwärmt der VDP, auch der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft lobt die Selbstverpflichtung überschwänglich. Kernstück der Selbstverordnung, die am 01.10.2013 in Kraft trat, ist das sogenannte „Gesundheitskontrollprogramm“. Angesichts der Tatsache, dass aufgrund der qualvollen Bedingungen in Zucht und Haltung im Laufe der Mast nahezu 100 % der Tiere gesundheitliche Einschränkungen erleiden müssen, eine hehre Idee. Doch die Hauptgründe für die Probleme in der Putenmast focht auch dieses Programm nicht an. Zwar sollen die Bestandsgrößen der Herden an die Einhaltung des Gesundheitsprogramms angepasst werden; doch weder die Abkehr von den Hochleistungszuchtrassen noch die grundsätzliche Eindämmung der Bestände sind vorgesehen.
Die Eigenschaften der derzeit am häufigsten verwendeten Mastputenrassen sorgen dafür, dass die Tiere an ihrem eigenen Wachstum zugrunde gehen. Es ist keine Seltenheit, dass Tiere in der Endmast nur noch auf dem Boden liegen können und der Gefahr des Verdurstens hoffnungslos ausgeliefert sind. Das Knochengerüst der Tiere kann dem schnellen Wachstum des riesigen Brustmuskels nicht standhalten, Stehen und Laufen wird durch verformte Bein- und Hüftknochen erst schmerzhaft, dann unmöglich. Das Gewicht der Tiere wird schnell zum Hindernis, Fliegen oder nur Flattern können junge Puten bald nicht mehr. Doch auch weitere Missstände werden durch das neue Kontrollprogramm nicht abgeschafft; so etwa das schmerzhafte Schnabelkürzen. Durch das Abbrennen oder Schneiden der Schnäbel sollen Kannibalismus und Federpicken eingedämmt werden – beides Reaktionen auf die unnatürlichen Bedingungen in der Massentierhaltung. Auch der Einsatz von Medikamenten wird weiterhin nicht klar geregelt. Für Tierschützer steht daher fest: Auch in Zukunft wird die Einführung einer gesetzlichen Regelung dringend notwendig sein, um die Skandale in der Geflügelwirtschaft einzudämmen und wenn möglich zu verhindern. Für diese Regelung werden wir uns auch weiterhin einsetzen.