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Stadttauben: Gefiederte Obdachlose

Stadttauben haben es in Deutschland schwer. Sie wer- den gehasst und verfolgt, weil sie in Schwärmen auftreten und bettelnd zwischen unseren Füßen herumlaufen, weil ihre Exkremente Gebäude und Plätze verschmutzen und weil sie angeblich schreckliche Krankheiten verbreiten. Es wird viel unternommen, um die Vögel zu vertreiben, aber wenig, um ihnen zu helfen.

März 2018
Aktualisiert am: Mai 2024
Ein Beitrag von Ursula Bauer
Wir sind für das Elend der Stadttauben verantwortlich. Foto: © Ursula Bauer

Dieser Flyer liefert Informationen und Fakten gegen weit verbreitete Vorurteile. Er soll Verständnis und Mitgefühl für das schwere Los der gefiederten Obdachlosen in unseren Städten wecken und Wege aufzeigen, die ein friedliches Miteinander ermöglichen können.

Türkentaube (Streptopelia decaocto). Foto: © Ursula Bauer
Aus Verzweiflung fressen Stadttauben fast alles, was sie finden. Foto: © Ursula Bauer

Stadttauben leiden und sterben still. Sie sind weder Schädlinge noch Ungeziefer, sondern schlicht die Opfer menschlichen Handelns. Deshalb sind wir für ihr Schicksal verantwortlich.

Es werden nicht „immer mehr“

Tauben verteilen sich nicht gleichmäßig auf ein Stadtgebiet, sondern leben dort, wo es etwas zu Fressen gibt und Brut-, beziehungsweise Ruheplätze vorhanden sind. Da gute Standortbedingungen selten sind, konzentrieren sich die Bestände genau an diesen wenigen Stellen, was wiederum den Eindruck erweckt, die Vögel seien eine regelrechte Plage. Fällt ein Brutplatz weg, weil Abwehrsysteme angebracht wurden, ohne Ersatz zum Beispiel in Form eines betreuten Taubenschlags zu schaffen, müssen sich die vertriebenen Tiere an einem der wenigen verbliebenen Taubenorte zu dem dortigen Bestand dazu quetschen. Obwohl es sich hier lediglich um eine Verlagerung handelt, entsteht beim Bürger dennoch meist der subjektive Eindruck, dass überall mehr Tauben zu sehen sind.

Wie so oft klafft auch hier zwischen der gefühlten Wahrnehmung und der auf Fakten basierenden Wirklichkeit ein großer Graben. Tatsächlich gibt es in unseren Städten nämlich immer weniger Tauben! Nehmen wir als Beispiel Berlin. Hier hat sich der geschätzte Bestand in den letzten Jahren von 60.000 auf ca. 10.000 Tiere reduziert. Bezogen auf die aktuelle Einwohnerzahl ergibt sich ein entspanntes Verhältnis von nur einer einzigen Taube auf 366 Menschen. Zum Vergleich: In Paris soll es zehnmal so viele Tauben wie in Berlin geben. Hier ist das Verhältnis Stadttaube – Mensch 1:25.

Aviäre Clamydiose/Ornithose

Diese meldepflichtige Krankheit wird vom Bakterium Chlamydophila psittaci verursacht. Sie befällt vor allem Vögel (u.a. Papageien, Tauben, Möwen). Menschen werden so gut wie nie infiziert. Laut Robert Koch-Institut (RKI) gab es in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland nur 2 nachgewiesene Fälle einer Ornithose beim Menschen, die durch Tauben verursacht wurde. Einer der beiden Erkrankten hatte sich auf Teneriffa in einem Vogelpark angesteckt. Die Wahrscheinlichkeit, sich mit Ornithose zu infizieren, ist also in etwa so groß wie die Wahrscheinlichkeit, 5 x hintereinander den Eurojackpot zu knacken.

Salmonellen

Das Bundesinstitut für Risikobewertungen hat 2017 in seinem Bericht über Zoonosen darauf hingewiesen, dass der Salmonellen-Typ, der Tauben befällt und den Namen `Salmonella typhirium var. Copenhagen´ trägt, taubenspezifisch ist und nahezu nie Menschen befällt.

Taubenzecke und Rote Vogelmilbe

Sowohl die Taubenzecke (Argas reflexus) als auch die Rote Vogelmilbe (Dermanyssus gallinae) sind blutsaugende Parasiten, die normalerweise ausschließlich Vögel befallen. Nur wenn der Hauptwirt, also die Taube, wegfällt, können die Parasiten zum Problem für den Menschen werden. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn an einer Stelle mit hoher Stadttaubendichte plötzlich durch Bekämpfungsmaßnahmen sämtliche Tauben verschwinden. Dann finden die Blutsauger keine Nahrung mehr und machen sich auf die Suche nach einem Ersatz- oder Fehlwirt. Bei Menschen können die Stiche der Taubenzecke Hautrötungen hervorrufen. Infektionserreger wie bei anderen Zeckenarten werden jedoch nicht übertragen. Die Bisse von Milben sind ebenfalls harmlos, und eine Behandlung ist sehr einfach.

Die Tiermedizinerin Dr. Almut Malone, die sich seit 1998 im Stadttaubenschutz engagiert und jährlich bis zu 700 kranke oder verletzte Tauben betreut, wurde noch nie infiziert und weiß auch von keiner ihrer vielen Mitstreiter, dass jemals eine Ansteckung durch Tauben erfolgt sei.

Fütterungsverbot

Viele Städte verbieten das Taubenfüttern, weil sie glauben, dass sich die Vögel durch Fütterung stärker vermehren. Diese Annahme ist jedoch falsch! Bei Wildtieren gibt es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen großem Nahrungsangebot (= hohe Vermehrungsrate) und Nahrungsknappheit (= reduzierte Vermehrungsrate). Stadttauben sind jedoch verwilderte Haustiere, bei denen diese Rechnung, wissenschaftlich belegt, nicht aufgeht.

Sie können ihr angezüchtetes Brutverhalten (bis zu 7 x pro Jahr) nicht ändern, müssen aber, wenn es weniger Nahrung gibt, länger auf Futtersuche gehen. In der Folge sterben viele Jungtiere, weil sie von den Eltern nicht ausreichend versorgt sind. Auch unter den erwachsenen Vögeln werden vermehrt Tiere aufgrund der Mangelernährung krank oder verhungern. Als alleinige Maßnahme ist das Fütterungsverbot weder sinnvoll noch ethisch oder tierschutzrechtlich vertretbar.

Entnahme

In der Vergangenheit wurden immer wieder radikale Tötungs- oder Fangaktionen durchgeführt, um zum Beispiel Bahnhöfe taubenfrei zu bekommen. Wie die Erfahrungen zeigen, greifen diese Aktionen jedoch nur für kurze Zeit, da der Bestandsverlust von den Tauben sofort durch eine höhere Geburtenrate kompensiert wird. Tötungsaktionen sind weder nachhaltig noch mit dem Tierschutzgesetz vereinbar, da auch immer Nestlinge verhungern, deren Eltern umgebracht wurden.

Vergrämungsmaßnahmen

Diese Maßnahmen zur Taubenabwehr umfassen eine Vielzahl von Methoden. Weit verbreitet sind Stacheln (sogenannte Spikes), Zacken oder stromführende Drähte, die auf Simsen und Rohren, Stahlträgern, Brückenpfeilern und Reklametafeln dauerhaft angebracht werden, um zu verhindern, dass sich die Vögel darauf niederlassen. Unserer Meinung nach sind diese Methoden nicht tierschutzkonform, da sie ein hohes Verletzungsrisiko darstellen.

Zudem sind Spikes und Zacken relativ wirkungslos und werden von den Vögeln häufig sogar als Nisthilfe genutzt. Mit teilweise tödlichen Folgen für die Küken, die Gefahr laufen, aufgespießt zu werden.

Nutzlose Spikes mit ruhenden Tauben. Foto: © Ursula Bauer

Gemäß Tierschutzgesetz § 13 Abs. 1 ist es verboten, zum Fangen, Fernhalten oder Ver- scheuchen von Wirbeltieren Vorrichtungen oder Stoffe anzuwenden, wenn damit die Gefahr vermeidbarer Schmerzen, Leiden oder Schäden für die Wirbeltiere verbunden ist.

Extrem gefährlich sind Taubenabwehrpasten, die auf Geländern, Simsen oder Fensterbänken aufgetragen werden. Die Masse soll, mit Quarzsand bestreut, einen wabbeligen Untergrund darstellen, auf dem sich Tau- ben nicht mehr niederlassen. Leider wird der Sand meistens weggelassen, so dass sich Tauben und zahl- reiche Wildvögel die Krallen und das Gefieder mit der Paste verkleben und nicht selten dadurch sterben.

Die klebrigen Taubenabwehrpasten sollten verboten werden. Foto: © aktion tier, Ursula Bauer

Taubenpille

Das Arzneimittel Ovistop mit dem Wirkstoff Nicarbazin führt, auf Futtermais aufgebracht, zu einer temporären Unfruchtbarkeit bei Vögeln. Die Wirkung lässt schnell nach, wenn keine Aufnahme mehr erfolgt. Nicarbazin wird eigentlich zur Vorbeugung gegen Kokzidien (Magen-Darm-Parasiten) in der Geflügelmast eingesetzt, wobei zahlreiche Nebenwirkungen wie eine erhöhte Hitzeempfindlichkeit und eine verringerte Wasseraufnahme festgestellt wurden.

Zu möglichen Nebenwirkungen bei Tauben gibt es noch keine aussagekräftigen Studien. Trotzdem wird das Präparat seit 2023 in mehreren deutschen Städten versuchsweise an Stadttauben verfüttert. Letztlich ist auch unklar, wie der Wirkstoff kontinuierlich aber ohne Überdosierung verabreicht und die Aufnahme der präparierten Körner durch Wildvögel wie etwa Krähen verhindert werden soll.

Sinnvolles und tierschutzgerechtes Stadttaubenmanagement

Die Lösung des Taubenproblems in den Städten heißt Geburtenkontrolle. Am effektivsten und nachhaltigsten lässt sich diese in einem betreuten Taubenschlag praktizieren, wo die Vogeleier durch Kunsteier ersetzt werden. Damit der Erfolg von Dauer ist, müssen parallel die früheren Brutplätze der Vögel unbrauchbar gemacht werden. Die durch den Umzug der Tiere in einen betreuten Schlag freigewordenen Nistmöglichkeiten werden sonst nämlich schnell von Jungtauben besetzt, die bisher keine Chance auf einen Brutplatz hatten. Mit stabilen Gittern und sogenannten Schrägblechen lassen sich Nist- und Ruheplätze effektiv und tierfreundlich verbauen. Abgerundet wird das Konzept durch eine Pflegestation, in der kranke oder verletzte Tauben bis zur Genesung untergebracht und betreut werden können.

Ein betreuter Taubenschlag hilft wirklich. Foto: © aktion tier, Ursula Bauer

Schrägbleche

Tauben können nur auf geraden Flächen sitzen. Rostfreie Bleche im 45-Grad-Winkel verhindern, dass sich die Vögel auf Fensterbrettern, Simsen und Vorsprüngen niederlassen, diese mit ihrem Kot verschmutzen und Nester darauf bauen. Am besten berücksichtigt man diese tierfreundliche, unschädliche und unauffällige Maßnahme bereits bei der Planung von Gebäuden und Bauwerken.

Rostfreie Bleche im 45-Grad-Winkel verhindern, dass sich die Vögel auf Fensterbrettern, Simsen und Vorsprüngen niederlassen, diese mit ihrem Kot verschmutzen und Nester darauf bauen. Foto: © aktion tier e.V. / U. Bauer

Betreute Taubenschläge

Geeignete Standorte für betreute Taubenschläge sind immer da, wo besonders viele Stadttauben ihre Schlaf-, Brut- und Fressplätze haben. Wasser und Strom sollten verfügbar sein. Ob der Schlag in einem Turm, einem Bauwagen, einem Häuschen oder im Dachgeschoss oder Keller eines Hauses eingerichtet wird, ist relativ unwichtig. Er muss jedoch funktional und tiergerecht ausgestattet werden und leicht zu reinigen sein.

Die Tauben benötigen Nischen zum Brüten und Schlafen, Sitzstangen sowie Fütterungs- und Tränkmöglichkeiten. Ist der Schlag eingerichtet, werden die Stadttauben aus der Umgebung mit Futter angelockt. Jungtauben können zur Eingewöhnung einige Tage eingesperrt werden. Der Standort „spricht“ sich dann schnell unter den Vögeln herum und es kommen immer mehr.

Vorteile eines betreuten Taubenschlags

Mit dem täglichen Austausch der echten Taubeneier durch Kunsteier ist eine effektive Geburtenkontrolle gewährleistet. Stadttauben, die in einem betreuten Schlag Sicherheit, Ruhe und genügend artgerechtes Futter finden, sind außerdem weniger anfällig für Parasiten und Keime. Ist doch einmal ein Tier erkrankt oder verletzt, kann es leicht eingefangen und behandelt werden. Haben die Tauben einen Schlag als ihr Zuhause angenommen, verbringen sie erwiesenermaßen die meiste Zeit des Tages darin. Hier nisten, fressen und trinken sie und setzen natürlich auch Kot ab, der ohne Taubenschlag auf Straßen, Gebäuden und Denkmälern landen würde. Vögel, die sich von Abfall ernähren, haben einen schmierigen Kot, der sich nur schwer von Oberflächen entfernen lässt. Durch die Fütterung mit gesundem Körnerfutter haben die Ausscheidungen der Tauben im Schlag auch wieder ihre natürliche, festere Konsistenz. Die Häufchen trocknen schnell ab und lassen sich dann einfach wegfegen. Des Weiteren können Brieftauben, die neu zugeflogen sind, schnell aus dem Schlag genommen und ihren Besitzern zurückgegeben werden. Letztlich führt diese Form des „betreuten Wohnens“ zu konstanten Beständen aus unaufdringlichen, gesunden und hübschen Tauben, über deren Anblick man sich freuen kann.

Wer soll das bezahlen?

Durch das dargestellte Stadttaubenkonzept könnten die bisherigen, immensen Reinigungskosten deutlich reduziert werden. Die gesparten Mittel müssen jedoch zur Realisierung der Stadttauben-Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden, damit Privatpersonen und Tierschutzvereinen, die sich aktuell im Stadttaubenschutz engagieren, nicht der Atem ausgeht.

Verursacher in die Pflicht nehmen

Taubenzucht und -sport gehören zu den direkten Verursachern des Stadttauben-Problems, denn durch sie kommen immer wieder neue verirrte und erschöpfte Tauben in unsere Städte. Daher braucht es neben einem tierschutzgerechten Stadttaubenmanagement auch Regelungen zur Bekämpfung dieser Ursachen.

Taubenschlag der Initiative "RespekTiere Tauben" in einem Freiburger Parkhaus. Foto: © Ursula Bauer

aktion tier-Kampagnenstart

Jahr 2018 haben wir den Stadttauben eine Kampagne mit zahlreichen Informationsveranstaltungen gewidmet. Den Auftakt bildete eine große Ausstellung im A10 Center im brandenburgischen Wildau. Mit zahlreichen Objekten und über 50 lebensgroßen Kunsttauben haben wir die Probleme wie beispielsweise die Verschmutzung von Gebäuden und Plätzen durch Taubenkot verdeutlicht. Auch die aus Tierschutzsicht harten Bedingungen, unter denen die Vögel in unseren Städten leben müssen, wurden visualisiert. Schließlich wurde aber auch die Lösung der Probleme durch ein tierschutzgerechtes Stadttaubenmanagement dargestellt. Da der wichtigste Aspekt hierbei betreute Taubenschläge ist, hatten wir unter anderem einen Mini-Taubenschlag mit Nestern aufgestellt, wo Besucher echte Taubeneier durch Kunsteier austauschen konnten.

Ausstellung zum Kampagnenstart in einem großen Einkaufzentrum. Foto: © aktion tier e.V. / U. Bauer

Broschüre zum Herunterladen

Kampagnenvideo

Dipl. Biologin Ursula Bauer

Geschäftsstelle Berlin

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